Äußerst traurig, was ich heute erlebt habe.
Ich bin auf meiner Schule im Schulsanitätsdienst tätig. Hier ein Pflaster draufkleben, da eine Mama anrufen, dort mal ein Kühlpack ausleihen und solche heldenhaften Dinge.
Heute allerdings hatte ich einen wahrhaftig grausamen Fall bei mir im Erste-Hilfe-Raum:
Ein unheilbarer Fall von Dummheit.
Also eigentlich war nicht sie mein Fall, sondern ihre Freundin. Die lag dann halt auf der Liege und wir, meine Mitsanitäterin und ich, warteten auf ihre Mutter, die sie abholen kommen wollte. Doch unglücklicherweise hatte die Kranke ihre Freundin mitgebracht. Und ebendiese Freundin hätte eigentlich auf die Liege gehört, und zwar festgebunden und mit zugeklebtem Mund.
Es war ein kleines Mädchen. 11 Jahre. Fünfte Klasse. Klein, schmal, lange blonde Haare. Brav und schüchtern auf den ersten Blick. Aber auch nur auf den ersten.
Sie saß auf einem Stuhl neben der Liege, auf der das kranke Mädchen lag. Ich saß mit meiner Sanitäterkollegin am Tisch und wir unterhielten uns, als plötzlich die Freundin anfing, mit uns zu diskutieren.
Sie behauptete plötzlich, alles, was man in der Schule lerne, sei vollkommen sinnlos, man brauche es sowieso niemals später im Leben und - das war der Hammer an der ganzen Sache - plötzlich sagte sie in einem schnippischen, schon fast angriffslustigen Tonfall (ich zitiere): "Ich brauche nichts, was ich hier lerne. Ich muss nicht schlau sein. Wenn ich so viel Geld habe wie zum Beispiel Bill Gates, kann ich auch dumm sein."
Zunächst dachten meine Kollegin und ich, die Kleine wolle uns vergackeiern. Aber dieser Äußerung folgten auf unsere Nachfrage ähnliche Kommentare. Zum Beispiel der: "Meine Lehrerin hat gesagt, Bill Gates war nicht schlau. Der hat vorher auf einem Boot gearbeitet. Der hatte einfach nur eine gute Idee. Ich kann ja auch sagen, oh, ich hab 'ne Idee, ich will fliegende Autos, dann gehe ich zu irgendwelchen Menschen und die bauen das dann."
Auch nicht übel war dieser Spruch von ihr: "Ich habe letztens hier gelernt, wie viele Zähne ein Gebiss von einem Wolf hat. Brauch ich das später?! Ich will doch keine Wolfologie studieren! Wenn ich irgendwas Wichtiges brauche, kann ich mir das auch im Fernsehen angucken."
Während ich merkte, wie meine Kollegin langsam aber sicher fuchsteufelswild wurde, konnte ich mir ein ums andere mal ein ungläubiges Grinsen nicht verkneifen. Kein Witz: Bis die Mutter der Kranken kam - ungefähr eine halbe Stunde lang hat das gedauert - hat dieses Mädchen mit uns diskutiert. Uneinsichtig, unzugänglich für Argumente und obendrein auch noch rotzfrech. Und all das in einer so brisanten Mischung, wie ich noch NIE Worte von einem Kind gehört habe.
Die vernünftigen Argumente, die meine Kollegin und ich anbrachten, wurden entweder im Ansatz schon unterbrochen oder sofort durch Hirngespinste weggewischt. Auf mein Argument "Wenn du dumm bist, dann kannst du ja nicht mal lesen, oder? Wie willst du dich denn in unserer Gesellschaft integrieren, wenn du nichtmal mit deinem Gegenüber über ein Buch reden kannst, dass er gelesen hat?" kam der Kommentar: "Wenn ich so viel Geld habe wie Bill Gates, lasse ich das Buch verfilmen und gucke mir den Film an und kann so tun als habe ich das Buch gelesen."
Irgendwann sagte ich auch: "Natürlich ist nicht alles essentiell, was du hier lernst, und vieles, was du außerhalb der Schule lernst, ist sehr wichtig. Aber stell dir vor, du würdest nicht in den Politikunterricht gehen! Ich habe sehr viel gelernt dort über das Wahlsystem, darüber wie das alles funktioniert, welche Partei für was steht und das ist wichtig zu wissen, wie willst du sonst wählen gehen?" Darauf kam von der Kleinen die Antwort: "Und warum muss ich wählen gehen? Es ist doch egal, ob ich zur Wahl gehe oder nicht, eine Stimme mehr oder weniger merkt doch keiner und wenn ich was wähle, kann ich doch eh nichts verändern."
Nicht mal das Argument, dass ich ihr daraufhin bot, konnte sie überzeugen. Ich sagte ihr, dass Nichtwählen eigentlich heißt "Es ist mir egal was mit meinem Land passiert", und dass sie sich dann nicht beschweren darf, wenn die NPD an die Macht kommt, Ausländer rauswirft oder umbringt oder ihr Sachen weggenommen und alles verändert wird.
Kein Argument, dass wir nicht angebracht hätten. Es nutzte nichts. Auch jeder Versuch, dieses lächerliche Gespräch einfach zu beenden und die Ohren auf Durchzug zu stellen, scheiterte. Es ging einfach nicht.
Nach 30 Minuten des schweißtreibenden Argumentierens und ungläubigen Kopfschüttelns kam die Mutter der Kranken und wir sahen wortlos zu, wie die Kleine hinter ihrer Freundin den Raum verließ, ohne noch ein Wort zu sagen.
Noch Minuten nachdem das Mädel weg war, hatte ich einen Puls von 180 mindestens.
Ein solches Gespräch hab ich wirklich noch nie geführt. Erst recht nicht mit einem elfjährigen Mädchen. Elf. Und jetzt schon genau das, was eine Gesellschaft einmal zerstören wird.
Die Eltern haben ganze Arbeit geleistet.
Wenn bald alle Elfjährigen so sind, sehe ich rabenschwarz.
Fassungslos
mazenoire